Die 4 Mythen der Produktionsplanung und -steuerung

Mythen in der Produktionsplanung und -steuerung? „Die gibt es auf jeden Fall“, meint Alexander Zipfel, Leiter des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Augsburg und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IGCV. In vielen produzierenden Unternehmen werden Prozesse zur Auftragsabwicklung eifrig geplant und gesteuert – für den perfekten Workflow fehlt aber oft das richtige Verständnis für die Zusammenhänge in der Produktionslogistik. So werden häufig Fehlschlüsse gezogen, die die Effizienz der Wertschöpfung und am Ende die Liefertermintreue negativ beeinflussen können.

Mythos 1: Wird die gewünschte Termintreue nicht erreicht, muss die Plan-Durchlaufzeit erhöht werden.

Dieser Fehlschluss kann jedoch weitreichende Auswirkungen auf die Produktivität nach sich ziehen: Eine bloße Erhöhung der Plan-Durchlaufzeiten führt zunächst zu einer früheren Freigabe der Produktionsaufträge. Die Folgen sind ein höherer Umlaufbestand (engl. Work in Process) auf dem Shopfloor, längere Liege-, Transport- und Suchzeiten der ‚richtigen‘ Aufträge und das Blockieren wertvoller Ressourcen. Werden die Warteschlangen vor den Anlagen länger, resultiert eine steigende Streuung der tatsächlichen Ist-Durchlaufzeiten. Damit wird es für den Produktionsplaner noch schwieriger, möglichst realistische Liefertermine zu berechnen. Das Ergebnis ist somit keine Verbesserung, sondern eine weitere Verschlechterung der Termintreue.

„Besser ist es, den Arbeitsüberhang zunächst mittels zusätzlicher Kapazitäten zu bewältigen und anschließend wieder in eine auf den benötigten und verfügbaren Kapazitäten basierende, belastungsorientierte Auftragsfreigabe überzugehen“, meint Alexander Zipfel.

Mythos 2: Ein weiterer Eilauftrag geht schon noch.

Eilaufträge hängen oft mit einem hohen oder wiederkehrenden Auftragsvolumen ausgewählter Kunden zusammen. Die Priorisierung bei gleichzeitig engen Zeitschienen hat aber Tücken. Denn jeder außerplanmäßige Eilauftrag bindet Ressourcen und verändert die Durchlaufzeit aller bereits eingeplanten Aufträge. Das macht alle folgenden Planungen undurchsichtiger und schwieriger. “Eilaufträge sollten wirklich die Ausnahme sein”, mahnt Alexander Zipfel. Hier gilt die Prämisse “so wenig wie möglich, so viel wie nötig”. Jeder Produktionsplan wird idealerweise so berechnet, dass er unter Normalbedingungen realisiert werden kann. Das erfordert auch eine bessere Absprache zwischen Vertrieb und Produktion, damit gegenüber den Kunden keine Versprechungen gemacht werden, die die Produktion von vornherein nicht einhalten kann.

 Mythos 3: Je höher der Output einer Produktion, desto mehr Aufträge müssen auf dem Shopfloor liegen.

Auch beim vermeintlichen Idealzustand einer vollen Maschine oder Anlage ist Vorsicht geboten. Eine hohe Ressourcenauslastung reduziert zwar die auftragsbezogenen Logistikkosten, sie kann sich aber negativ auf die Logistikleistung auswirken. Durch eine zu hohe Auslastung nimmt auch die Komplexität auf dem Shopfloor zu, “man sieht dann den Wald vor lauter Bäumen nicht”, erklärt Zipfel. Wie im Straßenverkehr kann durch hohes Aufkommen leichter ein Stau entstehen, weshalb wichtige Termine nicht mehr eingehalten werden können. Kurzum: Je mehr Aufträge im Produktionssystem freigegeben sind, desto schwieriger wird es, den Überblick zu behalten und die richtigen Aufträge zur richtigen Zeit auszuliefern.

Mythos 4: Ein paar Kennzahlen sind bereits gut, ein paar mehr sind aber immer besser.

Kennzahlen, die auf aktuellen Betriebs- und Maschinendaten basieren, erhöhen die Transparenz über den Auftragsfortschritt auf dem Shopfloor. Entscheidungsträger erhalten so die Möglichkeit, bei Abweichungen von Ist- gegenüber Planwerten kurzfristig zielführende Steuerungsmaßnahmen zu ergreifen. „Mehr Kennzahlen sind dabei aber nicht zwangsläufig besser, da hier schnell der Fokus auf die wirklich wichtigen Kennzahlen verloren geht. Vielmehr kommt es darauf an, die für das jeweilige Unternehmen relevanten Kennzahlen zu erfassen und die Wirkzusammenhänge zwischen den Kennzahlen und den Zielgrößen der PPS wie Bestände, Durchlaufzeit oder Termintreue zu verstehen“, meint Alexander Zipfel.

Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Augsburg löst Mythen auf

Warum sind diese Mythen oft nicht bekannt und halten sich? “Die Wirkzusammenhänge in der PPS sind sehr komplex und zum Teil unternehmensindividuell. Langfristige Folgen von Maßnahmen, die auf die Schnelle sinnvoll erscheinen, werden häufig nicht richtig eingeschätzt. Insbesondere bei bester Auftragslage und voller Auslastung bleibt oft keine Zeit, über die funktionalen Zusammenhänge in der Produktionsplanung und -steuerung nachzudenken. Die Gefahr besteht darin, dass sich Fehlschlüsse einschleichen, die über viele Jahre hinweg praktiziert werden und so gewissermaßen zur Normalität werden“, meint Zipfel. Die Experten vom Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Augsburg bringen hier im Rahmen der Potenzialanalysen Licht ins Dunkle und helfen, die Zielkonflikte aus Logistikleistung und -kosten für das jeweilige Unternehmen aufzulösen.

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Alexander Zipfel ist PPS-Experte am Fraunhofer IGCV.